Digitalisierung im globalen Kontext

Digitalisierung ist eines der Buzz-Wörter unserer Zeit. Jeder will digital sein und von neuen, digitalen Innovationen profitieren. Doch zugleich scheint jeder ein ganz eigenes, individuelles Verständnis und somit eine andere Definition von Digitalisierung zu haben.

Wenn ich zehn Leute frage, was Digitalisierung bedeutet, bekomme ich zehn verschiedene Antworten. Das liegt vor allem daran, dass bis heute keine klare Definition des Begriffs existiert. In seinen Ursprüngen beschreibt Digitalisierung den Wandlungsprozess von analogen Informationen hin zu digitalen Formaten. Das mag zwar stimmen, doch liefert diese Beschreibung ein vollständiges Bild und ist der heutigen Zeit angemessen? Der bekannte Ökonom Peter Drucker sagte einst, „In times of change, the greatest danger is to act with yesterday’s logic.” Vor diesem Hintergrund möchte ich nachfolgend einen neuen, aktualisierten Definitionsversuch wagen und vorstellen, warum Digitalisierung für mich vor allem eines bedeutet: Frieden.

Digitalisierung und Friedensentwicklung

Blickt man auf das Jahr 2019 zurück, mag es vielen so vorkommen, als wären wir noch Lichtjahre von einer friedlichen Welt entfernt und gleichzeitig schon längst im digitalen Zeitalter angekommen. Wie passen also Digitalisierung und weltweiter Frieden zusammen während auf der einen Seite tausende Menschen auf der Flucht übers Mittelmeer sterben und Terroranschläge die Welt erschüttern und auf der anderen Seite die ersten Autos autonom auf unseren Straßen unterwegs sind und wir nicht mehr ohne Smartphones leben können?

Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran

Dass wir immer digitaler werden, steht wohl außer Frage. Es gibt unzählige Beispiele, wie digitale Produkte unseren Alltag vereinfachen: Amazons Alexa spielt uns unsere Lieblingsmusik vor, unser Auto warnt uns, wenn wir beim Einparken zu dicht an andere Fahrzeuge kommen, und E-Book-Reader ersetzen gebundene Bücher. Ein Land, das besonders stark im Bereich Digitalisierung mitmischt, ist China. Als ich während eines Auslandsjahres in der zentralchinesischen Metropole Xi’an einen Bankaccount eröffnen wollte, hat es nach dem Betreten der Bankfiliale keine halbe Stunde gedauert, bis mein Konto eröffnet war und ich die dazugehörige Karte in der Hand hielt. Trotz der Schnelligkeit habe ich die Bankkarte kein einziges Mal verwendet. Der Grund: In China zahlt fast jeder mobil. Laut dem Statistik-Online-Portal Statista ist China das Land, in dem weltweit die meisten Menschen mit dem Smartphone bezahlen. In Deutschland hingegen sind es gerade einmal ein paar Prozent der Bevölkerung, also praktisch keiner.

Auf der Digital X, Europas größter Digitalisierungsinitiative, auf der ich unlängst über die globalen Auswirkungen von Digitalisierung referieren durfte, habe ich vergangenes Jahr die nächste Stufe des kontaktlosen Zahlens demonstriert bekommen: Die schwedische Firma Biohax implantiert seit 2013 Mikrochips unter die Haut, mit denen man kontaktlos bezahlen kann – mit der eigenen Hand. Auch wenn dem viele mit Skepsis gegenüberstehen und es noch ungelöste, regulatorische Schwierigkeiten gibt, wird eines klar: Die Digitalisierung schreitet immer weiter voran und alle, die sich dagegenstellen, verlieren zusehends sowohl Anschluss als auch Glaubwürdigkeit.

Das Ziel des globalen Friedens scheint weit entfernt

Auch wenn wir faktisch gesehen weniger Kriege führen und der Global Peace Index belegt, dass das Zusammenleben im 20. Jahrhundert kontinuierlich friedlicher geworden ist, bezweifeln indes viele Menschen, dass die Welt immer friedvoller wird. Während ich in den vergangenen Jahren in Technolgiezentren wie China, Indien und den USA die Fortschritte der Digitalisierung beobachten durfte, wurde mir ebenfalls bewusst, dass die Welt noch immer weit von einem Zustand entfernt ist, den man auch nur annähernd als „Weltfrieden“ bezeichnen kann. Ja, in China ist Mobile Payment so weit fortgeschritten wie nirgendwo anders, doch degradiert die chinesische Regierung Minderheiten wie die Uiguren systematisch. Ja, Indien ist eines der Länder welches durch Unternehmen wie Infosys immer mehr eine Vorreiterrolle in digitalen Innovationen einnimmt, doch wird gleichzeitig die Entwicklung des ganzen Landes durch den Konflikt an der pakistanischen Grenze zurückgehalten. Und ja, die USA sind durch weltbekannte Unternehmen wie Alphabet und Amazon noch immer führend, doch untergräbt der aktuelle Präsident in den Augen vieler die Demokratie und gefährdet dadurch zusehends die weltweite Stabilität.

Unter diesen Gesichtspunkten kommt berechtigter Weise die Frage auf, ob die Digitalisierung tatsächlich zum Frieden beiträgt oder nicht gar zum Gegenteil führt. Schließlich radikalisieren sich Rechtsextreme immer mehr online, Terroristen können sich viel leichter vernetzen und Cyber-Kriminalität ist so überhaupt erst möglich geworden.

Das entscheidende Gegenbeispiel

Insbesondere durch meine Reisen und Auslandsaufenthalte habe ich jedoch festgestellt, wie wichtig die Digitalisierung auch für andere Aspekte ist, und, dass sie noch viel mehr ist als Computerisierung und ein bloßer technologischer Wandlungsprozess.

Ich sehe Digitalisierung inzwischen viel mehr als ein Kommunikationstool, das Türen öffnet und die Welt näher zusammenbringt. Ohne das Zusammenspiel von Globalisierung und Digitalisierung wäre es mir nie möglich gewesen, mich im gleichen Umfang auszutauschen, während meiner Zeit im Ausland ein globales Netzwerk aufzubauen und dieses über die Zeit hinweg aufrechtzuerhalten. Ich hätte nie verstehen können, wie andere Kulturen zu Innovationen stehen und so viele Perspektiven in eine Entscheidung mit einbeziehen können, wie ich es heute tue. Ohne die Symbiose beider Prozesse würde ich mich wahrscheinlich noch immer als Deutscher, vielleicht als Europäer, aber wohl kaum als Global Citizen beschreiben können. Und auch wenn ich als solcher die beschriebenen Konflikte miterlebt habe, kann man sich dieses Wissen keineswegs nur durch den Besuch des Landes aneignen. Vielmehr schafft die Digitalisierung die Voraussetzungen dafür, dass dieses Wissen für jedermann, zu jeder Zeit und überall auf der Welt online zugänglich ist. Dies wiederum ermöglicht uns allen, eine offenere und friedlichere Welt zu gestalten.

Die Digitalisierung ist somit in meinen Worten vielmehr als nur ein technologiebezogener Wandlungsprozess. Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle darin, die Welt näher zusammenzubringen, macht sie dadurch ein Stück weit kleiner, erfahrbarer und letztlich auch friedlicher. Die Digitalisierung ist ein Meilenstein in Sachen Kommunikation und ein Tool, das – wenn es richtig eingesetzt wird – zur Friedensentwicklung und zur internationalen Völkerverständigung beitragen kann.

Auch wenn dies nicht zu einer völlig neuartigen Definition führt, zeigt es doch die Tragweite, Vorteile und Wichtigkeit einer digitalen, vernetzten Welt. Als Digital Native sehe ich die Digitalisierung als eine der größten Chancen unserer Zeit. Sie ist technologischer und sozialer Wandlungsprozess zu gleich. Und daher lautet mein Appell: Wenn Sie das nächste Mal über Digitalisierung nachdenken, denken Sie nicht nur groß, sondern vor allem gemeinsam!

HINWEIS Dieser Artikel stellt eine Meinungsmache dar und erhebt keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit der enthaltenen Aussagen. Vielmehr wird eine individuelle Sichtweise vorgestellt, die sich folglich diskutieren und kritisieren lässt. Jegliches Feedback kann durch das Kontaktfeld auf der Startseite an mich adressiert werden.

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